Clout-Turnier

Bogenschiessen auf Schloss Türnich

Zum Turnier zugelassen waren Bögen jeder Bauart. Aus sicherheitstechnischen Gründen mussten nur Compoundbögen vom Wettkampf ausgeschlossen werden. Bei der Wahl der Pfeile gab es keine Einschränkungen. Die Einteilung der Schützen erfolgte nach Distanz, die jeder, ganz nach Erfahrung, Fertigkeit, Kraft und Material frei wählen konnte. Der Erlös des Turniers ging an den Erhalt des Schlosses, das durch den Braunkohletagebau und die damit einhergehende Grundwasserabsenkung schwer geschädigt ist. Die Startgebühr betrug 10,- Euro. Für Kinder zwischen 12 und 17 Jahren 5,00 Euro. Rund 80 Teilnehmer waren vor Ort, mehr als in den letzten Jahren.

Clout-Turniere

Clout-Turniere sind beliebte Outdoor-Veranstaltungen für Freunde des intuitiven und traditionellen Bogensports. Hier kann man Gleichgesinnte treffen, sein Können unter Beweis stellen und sich im Wettkampf auf große Distanz messen. Dieses Angebot wird von Sportschützen sehr gerne angenommen, denn die wenigsten Vereine verfügen über ähnlich große Schießgelände.

Wo Clout-Turniere ihren Ursprung haben

Das Clout-Turnier entwickelte sich aus den Trainingsmethoden mittelalterlichen Artillerie. Die bogenschießenden Fuß-Soldaten wurden darauf trainiert, ihre Gegner durch Pfeil-Salven in die Flucht zu schlagen. Damit war der Weg für die eigene Kavallerie frei. Und die berittenen Soldaten konnten in Feindesland vordringen. Mittels hoher Flugbahnen konnten auch Hindernisse wie Hügel oder Baumreihen überwunden und Ziele ansteuern werden, zu denen man keinen Sichtkontakt hatte. Statt die gut gepanzerten Feinde frontal zu beschießen, wurden diese von oben überraschend von einer Pfeilwolke angegriffen. Doch nicht das englische Wort für Wolke (cloud) war namengebend für diese Turnierform. Clout ist das Wort für Lappen, ein Stoff-Fetzen der damals wie heute als Ziel an einen Pflock gebunden wurde. Diesen zu treffen war die Aufgabe der übenden Krieger.

Ablauf und Regeln des Clout-Turniers

Beim Clout-Turnier wird in den Abständen 165m (Heavy Bows, hauptsächlich Männer), 120m (Lighter Bows, vorwiegend Frauen) und 70m (Anfänger und Kinder) auf ein Ziel geschossen. Dieses besteht aus einem Pflock, an dem sich eine Fahne befindet, die sogenannte Clout. Geschossen werden 6 Passen à 6 Pfeile. Alle Teilnehmer einer Distanz schießen gleichzeitig. Je näher der Pfeil einschlägt, desto mehr Punkte erhält der Schütze dafür. Jeder Schütze trägt seine Punkte selbst in seine Karte ein und gibt diese am Ende des Turniers bei der Turnierleitung ab. Hier werden die Gewinner ermittelt.

Und so ist es dieses Jahr in Türnich gelaufen…

Kalt ist es am Morgen. Und es regnet. Ich habe mich mit diversen Thermoskannen heißen Tees, dicken Schuhen und Handschuhen ausgestattet und stapfe im Daunenmantel Richtung Schloss Türnich. Einzelpersonen und kleine Grüppchen mit geschulterten Bogentaschen kommen aus Seitenstraßen. Im Innenhof des Schlosses ist schon einiges los. Bogenschützen, ausstaffiert mit vielseitigem Equipment, gekleidet im Neusten was die Outdoormode zu bieten hat, entrichten in der Scheune ihre Startgebühr und versorgen sich mit Kaffee. Ich fühle mich wie in einer Ansammlung aus Mittelalter-Freunden, Forst-Fans und Outdoor-Junkies. Die vorherrschenden Farben sind olivgrün und braun in verschiedenen Nuancen. Dazwischen modisches Pink, Orange und leuchtendes Rot. Aus der näheren und ferneren Umgebung sind die Schützen angereist, viele Kölner, viele aus dem Umfeld von Bogenlust, aber ich habe auch Teilnehmer aus Sprockhövel und Detmold getroffen. Schnell werde ich mit Fachwissen über Equipment und Material versorgt.
„So viele Clout-Turniere gibt es nicht“, höre ich. „Außerdem ist dieses Turnier das erste im Jahr. Und besser kann man die Saison doch nicht starten als mit Clout-Schießen.“, verrät mir eine begeisterte Teilnehmerin.

Turnierstart: 10:00 Uhr

Der Field-Captain verkündet gegen 10:00 Uhr den Beginn des Turniers, fasst kurz die Regeln zusammen und schreitet mit mächtigen Schritten voran Richtung Turnierwiese. Nach wenigen Minuten erreichen wir ein großes Freigelände, grau und blond noch die Halme vom Winter, ein bisschen frisches Grün dazwischen. Eingerahmt von Weiden, Obstbaumwiesen, Schlosspark und losem Baumbestand. Ein Bächlein säumt das Anwesen. „Herzlich willkommen auf der Turnierwiese“, begrüßt uns der Field-Captain ein zweites Mal und macht uns mit den Sicherheitsregeln vertraut.

Flatterband markiert bogenförmig die Schießlinie bei 165m, 120m und 70m. Der Pflock mit der roten Clout ist von allen Positionen gut erkennbar. In diesem Fall dient eines jener Fähnchen als Clout, mit denen man überlange Lasten an Fahrzeugen markiert. Sie ist wetterfest. Und ob ihres Materials steht sie vom Pfeiler ab. Die Schützen verteilen sich an der 165-Meter-Linie, richten sich ihre Klappstühle ein, spannen ihre Bögen und legen Armschutz und Fingerkappen an, Brillen werden getauscht, langes Haar locker zusammengeknotet. Ich bestaune die teilweise handgefertigten Köcher aus Leder und Fell. Und wie viele unterschiedliche Pfeile es gibt! Karbon und Holz, mit handgeschmiedeten Spitzen, gestreift, gemustert, mit farbigen Federn, kurz geschoren, lang gewachsen und manche scheinen auch in der Mauser zu sein. T-Shirt klären über Vereinszugehörigkeiten auf. Der Blick zum Himmel verrät: Schönes Wetter sieht anders aus. Und windig ist es. Aber wenigstens hat der Regen aufgehört. Nach Tagen. Er nutzt nur noch als Einstiegsthema für Schnuppergespräche.

Die erste Probe-Passe

Es werden die Trillerpfeifen-Kommandos erklärt. Dann geht es los. Im hohen Bogen fliegen die bunten Pfeile bei der Probepasse von der 165-Meter-Linie in Richtung Clout. Vor allem die Männer mit großen Bögen haben sich für diese Entfernung entschieden. Auch einige Frauen wagen die weite Distanz. Ich muss an die Historienfilme denken, in denen Massen von Komparsen auf schlammigen britischen Wiesen von Pfeilstürmen überrascht und niedergestreckt werden. Nicht so hier. Hier sind nur Regenwürmer, erste neugierige Frühlingsblüher und Krabbeltiere gefährdet.

Und dann das! Auf dem höchsten Punkt ihrer Flugbahn werden die Pfeile vom Wind erfasst, driften ab nach Nordwesten und landen weit entfernt vom Ziel ins Gras. Ein Meer bunter Punkte verrät die durchschnittliche Entfernung von der Clout. Der Schütze ist noch nicht zufrieden. Vorrücken zur nächsten Linie. 120m. Frauen legen den Bogen an, auch ein paar Männer sind darunter. Ich finde, das Ziel ist noch immer verdammt weit entfernt. Die Schützinnen fokussieren erst den Pfosten und richten dann ihre Schussgerät hinauf zu Himmel, ungefähr 45 Grad, lasse ich mir sagen. So kann es klappen. Schuss! Erneut ein Pfeilregen.

Von der 70-Meter-Linie schießen Anfänger und Kinder. Nachdem jeder Bogenschütze 6 Pfeile abgeschossen hat und das Gelände per Pfeifentriller freigegeben ist, geht die Suche los. Kreuz und quer laufen die Outdoorfreunde über die Wiese wie bei einer gigantischen Ostereierralley und ziehen ihre Pfeile aus dem Boden, darauf bedacht kein fremdes Material zu beschädigen und niemandem die Augen auszustechen. Schließlich sind wir nicht im Mittelalter, auch wenn manche Kopfbedeckung und mancher Wams darauf schließen lassen könnte.

Auf dem Weg zurück zur Schusslinie tauschen sich die Schütze aus über die Windverhältnisse, Pfeilgewicht und Zugkraft ihrer Bögen. Manche entscheiden sich, das Material zu wechseln, überlegen sich Strategien, mit dem Wind umzugehen. „Mehr nach rechts muss man zielen, um den Wind auszugleichen.“, sagt ein schmaler Mann in Alltagskleidung.
Dann gilt es.

Die erste Passe des Turniers!

Nachdem alle ihre Pfeile abgeschossen haben, erlebe ich, wie die Schüsse ausgewertet werden. Eine Kette mit verschiedenen Markierungen ist am Clout-Pflock befestigt. Helfer schreiten mit der Kette um den Clout-Pflock. Die Markierungen beschreiben dadurch verschieden große Radien um das Ziel. Die Helfer ziehen die Pfeile zwischen den Markierungen aus dem Boden und stecken diese, je nach markiertem Radius, in einen entsprechenden Sammelbehälter. Hier kann sich jeder Schütze seine Pfeile herausnehmen und die entsprechende Punktzahl auf seinem Block notieren. Kein Schiedsrichter, keine Jury. Ein Turnier, das auf Vertrauen basiert.

Geschossen werden am heutigen Tag 2 mal 6 Passen, 6 am Vormittag, 6 am Nachmittag. Passe nennt man einen Durchlauf, bei dem eine festgelegte Anzahl Pfeile nacheinander geschossen, ausgewertet und zurückgeholt werden. Beim Clout-Turnier werden sogenannte 6-Pfeil-Passen geschossen. Wer also immer mitschießt, hat am Ende 72 Chancen gehabt, die Clout zu treffen. Da bei jeder Passe alle drei Distanzen angeboten werden, muss man pro Passe Zeit und Geduld mitbringen. Und gut zu Fuß sein. Denn jeder geschossene Pfeil steckt irgendwo unter den 480 bunten Pfeilen in der Wiese und muss erstmal gefunden werden.

Die neue Youngster-Distanz

Der Fiels-Captain erfindet kurz entschlossen eine vierte Distanz, um auch dem Jüngsten im Turnier eine Chance zu geben. 50m. Und: Zack! Trifft der Junior den Pflog darf sich im Jubel baden.

Schießen bis der Magen knurrt

Von Passe zu Passe landen mehr Pfeile innerhalb des Bereichs, der Punkte bringt. Doch noch immer sorgt der Wind für Überraschungen auf der Flugbahn. Nach Runde Fünf knurren schon hörbar die Mägen der Bogenschützen.

Zur Pause zurück im Schlosshof gibt es Eintopf mit Wurst und Brot. Genau das Richtige für einen Tag im Freien. Dazu selbstgebraute Limonade mit geheimen Zutaten. Köstlich. Und alles frisch und Bio.

Die Schützen vergleichen ihre Wertungszettel und schon wird spekuliert, wer heute wohl das Turnier für sich entscheidet.

Am Nachmittag kommen die Pfeile ihrem Ziel immer näher, wenn der Wind stimmt und der unscheinbare Schütze im Alltagsdress trifft zwei Mal hintereinander die Clout. Das ist ein Foto wert! Als sich ein Unwetter zusammenbraut, sieht es kurz so aus, als müssten wir die letzten zwei Passen ausfallen lassen. Doch dann verzieht sich das Grollen und die finsteren Wolken, regnen sich woanders ab.

Zufrieden, erschöpft und 2880 Pfeilflüge später sind am späten Nachmittag alle zurück im Schlosshof, stärken sich mit den aufgewärmten Eintopfresten vom Mittag und holen mitgebrachte Stullen raus. Die ersten kühlen Bierchen rinnen durstige Kehlen hinunter. Wer noch nicht genug hat, darf für 1 Euro pro Pfeil auf eine Wand mit kleinen Luftballons schießen. „Es gibt auch was zu gewinnen“, wird versprochen. Doch leider will das mit dem Treffen nicht mehr klappen. Also wird die Siegerschokolade unter den Kindern verteilt und der Klingelbeutel mit den Einsätzen geht an den Verein zur Erhaltung und Renovierung des Schlosses.

Souvenirs und Equipment

Schmied Ulli Stehli hat einen Stand aufgebaut, an dem er seine geschmiedeten Beile und Äxte ausstellt und verkauft. Besonderes Beliebtheit erfreuen sich diverse Pfeilspitzen, nach historischen Vorbildern gefertigt. Davon will man lieber nicht getroffen werden! Und jede Menge Bildung gibt es gratis dazu. Ulli Stehli scheint einfach alles zu wissen. Das wandelnde Geschichtsbuch, einmal in Fahrt gekommen, berichtet über Bogenschießen, Ritter, Feldschlachten und mittelalterliche Feldtaktiken, inklusiver blutiger Details und martialischer Anekdoten.

Beim Clout-Turnier gibt es nur Gewinner!

Dann endlich ist es soweit. Der Eintopf ist leer, die Glieder müde. Die ersten Teilnehmer machen sich bereits auf den Heimweg. Rolf Räbiger und Steffi Bullack von Bogenlust schreiten zur Siegerehrung! In jeder Kategorie gibt es drei Gewinner. Die stolzen Schützen gehen mit wunderschön gestalteten Frühstücksbretten aus Holz nach Hause, darauf eingebrannt ein Pfeil vom Clout-Turnier.

Clout-Turnier 2021

Da bin ich wieder dabei!

Jetzt kann sich der Bogensportfreund schon morgens auf die nächste Passe freuen. Und auf das nächste Clout-Turnier. Bei dem ich auf jeden Fall wieder dabei sein werde. Schon alleine wegen der netten Leute, Ulis blutiger Geschichten und der leckeren Jause. Auf meinem Handykalender setze ich mir direkt einen Marker: März 2021. Clout Turnier Schloß Türnich. Und dann versuche ich es auch mal mit dem Schießen… vorerst von der 70m Marke.

von Vera Gercke

Wir bedanken uns sehr herzlich bei Vera für diesen gelungenen Beitrag. Damit hat sie das traditionelle intuitive Bogenschießen in Köln ein Stück weiter voran gebracht und es als Freizeitaktivität um einen tollen Beitrag bereichert.